Der irisch-englische Autor, Publizist, Editor und Redakteur Frank Harris (1856-1931) hat einmal gesagt, dass „jede neue Sprache wie ein offenes Fenster ist, das einen neuen Ausblick auf die Welt eröffnet und die Lebensauffassung weitet“. Es ist nämlich so: Wenn man eine Fremdsprache erlernt, eignet man sich nicht nur grammatische Strukturen und Vokabeln an. Man erfährt einiges über die Kultur und Geschichte des Volkes, zu dem die jeweilige Sprache gehört, über seine Traditionen und seine Mentalität. Langsam fängt man an, nicht nur die Wörter, sondern auch die Denkweise dieses Volkes zu verstehen, wird sensibler, weltoffener und toleranter.
Nimmt man das Deutsche näher unter die Lupe, kann man behaupten, dass allein diese eine Sprache mehrere Fenster zur Welt öffnet. Es ist ja allgemein bekannt, dass etwa ein Fünftel aller Wörter im Deutschen ihren Ursprung in einer anderen Sprache haben. Viele davon werden schon so lange verwendet, dass sie bereits einen Teil des Grundwortschatzes bilden und von Muttersprachlern gar nicht als fremd oder „undeutsch“ empfunden werden. Lange Zeit stammten die meisten Fremdwörter vorwiegend aus dem Griechischen, Lateinischen und Französischen, d.h. aus den Sprachen in denen das neue Wissen übermittelt wurde. Sie wurden in der Regel übernommen, um Sachverhalte zu benennen, für die es damals noch keine deutsche Entsprechung gab. Heutzutage sind sie aus dem Deutschen nicht mehr wegzudenken. Hier nur einige Beispiele:
- Alphabet, Demokratie, Gymnasium, Papier, Theater (Griechisch)
- Aprikose, Fenster, Münze, Rose, Universität (Latein)
- Friseur, Garage, Hotel, Journalist, Sauce (Französisch)
In neuerer Zeit öffnete sich die deutsche Sprache immer mehr auch gegenüber „Überbringseln“ aus dem Spanischen (Macho, Moskito, Siesta) und aus dem Italienischen (Ambiente, Cappuccino, Pasta). Es gibt kaum noch einen Deutschen, der nicht weiß, wen man als Macho bezeichnet oder noch nie in seinem Leben einen Cappuccino bestellt hat.
Allerdings ist es eine ganz andere Sprache, die seit einigen Jahrzehnten den Wortschatz derjenigen, für die Deutsch die Erst-, Zweit oder lediglich eine Fremdsprache ist, bereichert. Die Rede ist natürlich vom Englischen. Zwar versuchen einzelne Sprachwissenschaftler sich verzweifelt gegen diese Tendenz zu wehren und sprechen sogar abwertend von „Denglisch“, aber auch sie müssen langsam einsehen, dass der Prozess nicht mehr aufzuhalten ist. Tatsache ist, dass uns die englischen Wörter in fast allen Lebensbereichen und -situationen begegnen. Im Fernsehen laufen ständig entweder Castingshows oder Talkshows, im Schaufenster hängen Plakate mit dem Wort Sale drauf, alle guten Hotels verfügen obligatorisch über einen Wellness-Bereich, die Boulevardzeitungen kommentieren die neuesten Outfits der Prominenten etc. Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen.
Die Erklärung für dieses sprachliche Phänomen liegt auf der Hand. Zum einen gehören Medien wie zum Beispiel das Internet zu unserem Alltag und üben einen großen Einfluss auf uns. Dort werden sehr viele Begriffe geprägt, die meist aus dem Englischen kommen. Die Nutzer gewöhnen sich schnell an Wörter wie Blog, Homepage, downloaden etc. Außerdem darf man nicht vergessen, dass viele Erfindungen, vor allem im technischen Bereich wie Unterhaltungselektronik und Computer, aus den USA kommen. Da es sich um Neuigkeiten handelt, für die es im Deutschen noch keine Bezeichnung gibt, werden sie einfach zusammen mit ihrem Namen übernommen. Niemand überlegt sich eine deutsche Entsprechung für E-Mail oder Wireless-LAN.
Zum anderen ist Musik unser ständiger Begleiter im Alltag. Überall hört man Musik: zu Hause, im Einkaufszentrum, im Auto, in der Werbung. Und auch hier – was für eine Überraschung! – dominiert Englisch.
Und last but not least: Im wirtschaftlichen Bereich legt man einen großen Wert auf Internationalität. Daher ist es keine Seltenheit, dass zwei deutsche Geschäftsleute über Marketing, Dumping und Re-Import sprechen.
Alles schön und gut, aber was heißt das für alle, die Deutsch bereits können oder gerade lernen? Die schlechte Nachricht ist, dass es leider nicht reicht, wenn man nur deutsche Wörter kennt und benutzt. Es gibt aber auch eine sehr gute Nachricht für sie: Wenn sie sich Mühe geben und auch diejenigen Fremdwörter lernen, die in der Alltagskommunikation gängig sind, werden sich für sie gleichzeitig mehrere Fenster zur Welt öffnen.